Magie der Worte im Spott über Leute, Statt und Gesellschaft
KulTour 2000 lud ein: Georg Büchners „Leonce und Lena“ in der Regie des Hanauer Theatermachers Franz Wacker in der Basilika am Kloster Schiffenberg

Im Rahmen des Venus-Sommers gastierte – veranstaltet vom Verein „KultTour 2000“ – eine Inszenierung von Georg Büchners „Leonce und Lena“ in der Regie des Hanauer Theatermachers Franz Wacker in der Basilika am Kloster Schiffenberg.

Wenn dieses Drama eine wirkliche Geschichte hätte, wäre es wohl eine Geschichte ohne Moral, ohne dass dabei gleich eine amoralische Welt in Frage gestellt würde. Es wäre auch eine Geschichte ohne Sinn, die von außen betrachtet trotzdem niemals gänzlich sinnlos wird. Die drei Akte der parodistischen Wortkaskaden und ironisch-absurden Dialoge von Büchners „Leonce und Lena“, in denen sich unterschwellig und zeitlos der tiefste Spott über Leute, Staat und Gesellschaft ergießt, erzielt seine signifikante Berechtigung über die geschlossene Form hinaus und liefert dabei eine Art bissigen Subtext zwischen Adelsdebilität und Nonsensmärchen, in der Büchner zugleich, mehr als mit seinem „Danton“ oder „Woyzeck“, die exemplarische Überwindung des klassischen Dramenmodells seiner Zeit zwischen Exposition, Peripetie und fallender Handlung gelungen ist.

Wenn Prinz Leonce vom Reiche Popo sich aus Gründen der Staatsraison mit Prinzessin Lena aus dem Reiche Pipi verloben soll und sich beide erst später auf der Reise durch dies Absurdistan der Handlung, einander namentlich noch unbekannt, sogar verlieben werden, hat sich der Reigen der Verhältnisse schon längst subtil zur eigenen Karikatur hochgeschraubt.

Prinz Leonce kehrt dann, irgendwie ironisch gebrochen, entschlossen zur Heirat mit der Unbekannten in sein Land zurück. Und der König, in der Verlegenheit, die Hochzeitsvorbereitung nicht aufschieben zu können, lässt die beiden trauen. Leonce übernimmt die Regierung und Weisheit und Wohlleben werden in ein Land einziehen, das den geringen Nachteil hat „Popo“ zu heißen. Sinn hin, Moral her.

Ein breites Spektrum der Möglichkeiten also, das ein Regisseur hier geboten bekommt. Etwas angereichert mit intertextuellen Verweisen aus Büchners „Lenz“ und „Woyzeck“ wie einem mehrtürigen, jedoch schlicht unschuldsweißen Bühnenbild, lässt der Hanauer Regisseur Franz Wacker sich hier aber bei allem verfügbaren Spielraum nicht zu Experimenten verführen, sondern vertraut vor allem auf die humoristische Vorlage und völlig zurecht auf die herrliche Sprache, die Büchner hier einst mit gerade zweiundzwanzig Jahren zu Papier gebracht hat.

Der Hanauer Theatermann der Produktionsduos „Hoffmann & Wacker“ gönnt dabei seinen Akteuren stets das richtige Maß an sprecherischer Genauigkeit und spielerischer Freiheit. Die Routine tut da wohl ihr Übriges hinzu, denn Premiere feierte die Inszenierung schon im Juli 2003. Seitdem gastiert die Produktion bei den unterschiedlichsten Festspielen.

Und Wacker tat gerade deswegen, nie wirklich wissend, auf was für ein Publikum man in der Fremde stößt, gut daran, den Text für sich sprechen zu lassen, der aus den Mündern seines glänzenden Ensembles tönt: Ob Wacker selbst als debiler König Peter, Alexander Morandini als herzzerreißender Kerl von einem Prinz, Christof Fleischer als sein narrenhafter Begleiter oder die zarte Thordis Howe als Prinzessin Lena, das Zusammenspiel brilliert an diesem herrlichen Spätsommerabend im Schutze der Basilika am Schiffenberg auf ganz besonders gelungene Weise.

Das vielzählige Publikum zeigt sich da auch bei manch mitgebrachter Wärmedecke von der Magie der Worte im Lichte des Spotts dieser märchenhaften Komödie sichtlich begeistert.


Rüdiger Oberschür (GAZ)